Hier haben wir für Sie 13 Fragen und Antworten zur Jungenarbeit zusammengestellt. Dies ist eine Auswahl von Fragen mit denen wir in der Praxis häufig konfrontiert werden. Uns ist bewußt, dass die Kürze der Antworten, die wir hier geben, oft nicht die ganze Komplexität des Themas wiedergibt und nur einen Teil von möglichen Sichtweisen oder Fokussierungen darstellt. Daher wollen wir diese Rubrik kontinuierlich ausbauen und Antworten weiterer Fachmänner und -frauen einholen.
Sie sind herzlich eingeladen, uns weitere Fragen zu stellen, die Sie gerne beantwortet haben möchten. Nach einer Sichtung dieser Fragen, werden wir diese in die unten stehende Liste mit aufnehmen und gemeinsam mit den Antworten allen Leserinnen und Lesern zugänglich machen.
Wir freuen uns auf Ihre Beteiligung!
Jungenarbeit ist die geschlechtsbezogene pädagogische Arbeit von erwachsenen Männern mit Jungen oder jungen Männern und orientiert sich einerseits an den Potenzialen des Junge- und Mannseins und andererseits an den problematischen Formen der männlichen Lebensbewältigung. Nach der klassischen Definition findet Jungenarbeit in geschlechtshomogenen Gruppen statt.
Jungenarbeit ist wichtig, weil wir parallel zur fortlaufend sich verändernden gesellschaftlichen Situation auch Veränderungen in den Männlichkeitsbildern und Geschlechterverhältnissen brauchen. Die tradierten, engen Rollenbilder hindern Jungen (wie Mädchen) häufig daran, ihre vielfältigen Potentiale nutzen zu können. Deshalb gilt es Räume zu schaffen, in denen Jungen sich gemeinsam mit Fachmännern neu erleben, ausprobieren und experimentieren können. In diesem Zusammenhang sollen Reflektionsprozesse im Hinblick auf Männlichkeitsbilder initiieret werden, damit Jungen geschlechtsstereotype Bilder hinterfragen und Geschlechterrollen als angehende Männer erweitern und flexibel gestalten können.
Jungenarbeit beschäftigt sich in seinen Schwerpunkten mit Themen, die für die Mannwerdung für Jungen von großer Bedeutung sind. Hier werden existenzielle wie auch weniger bedeutende Probleme von Jungen aufgegriffen. Dazu werden u.a. Themen wie Berufs- und Lebensplanung, Körper und Sexualität, Männlichkeitsbilder und Kultur, Dominanz- und Gewaltverhalten, Opfererfahrungen, Homophobie, Versagensängste u.v.m behandelt. Gleichzeitig ist es wichtig zu betonen, dass sich die Jungenarbeit nicht über die Themen oder Methoden definiert, mit denen sie arbeitet, sondern in erste Linie durch ihre reflektierende geschlechtsbewußte Beziehungsarbeit.
Generell geht es bei den Zielen Jungenarbeit um die Förderung der Entwicklung von einer selbstbestimmten und mitverantwortlichen Geschlechtsidentität. Dies meint auch die Veränderung des Geschlechterverhältnisses in Richtung Gleichheit und Gerechtigkeit. Weiteres Ziel ist es, die Kompetenzen der Jungen zu fördern, die zu einer Erweiterung ihres Verhaltensspektrums führen sollen. Dabei sollen die Ressourcen der Jungen aufgegriffen werden. Faustregel ist, alle Jungen gleich zu behandeln aber auch jeden Jungen individuell zu sehen. D.h., dass dabei das Augenmerk auf die Vielfalt und auf die Bandbreite des Jungeseins zu legen ist. Auch sollen künftig mehr Fachmänner für die Jungenarbeit gewonnen werden. Insbesondere gilt es, Männer mit Migrationshintergrund für die Jungenarbeit zu gewinnen, weil sie das Kunststück vollbringen können, Männlichkeitsbilder aus der Herkunftskultur und der beheimateten Kultur unter einem Dach zu vereinen.
Pädagogische Fachkräfte, die in der Frauenarbeit engagiert waren, kritisierten in den 70er Jahren, dass Jugendarbeit ausschließlich auf Jungen bezogen sei und forderten im Zuge der sich Mitte der 70er Jahre entwickelnden parteilichen Mädchenarbeit auch Jungenprogramme. Diese sollten einerseits selbst von Männern angeboten werden und andererseits auch unter dem Aspekt der kritischen Auseinandersetzung mit Männlichkeitsbildern stattfinden. Die ersten Ansätze, die Jungen und männliche Jugendliche unter diesem Fokus als eigenständige pädagogische Zielgruppe berücksichtigten, sind Anfang bis Mitte der 1980er Jahre datiert. Vorreiter waren hier einzelne Fachmänner, die sich mit ihrer männlichen Rolle im Beruf, Familie und Gesellschaft kritisch auseinander setzten und in NRW als Institution die Heimvolkshochschule "Alte Molkerei Frille" und Männerarbeitskreise in der Evangelischen Kirche gründeten.
In geschlechtshomogenen Gruppen, seien es Mädchen- oder Jungengruppen, lassen sich häufig spezielle Themen wie Sexualität, Liebe oder Freundschaft aber auch Konfliktlösung oder Gewaltprävention in einer anderen Atmosphäre und Intensität bearbeiten, als wenn Mädchen und Jungen zugleich im Raum sind. Wichtig ist aber ein anschließender Transfer der Erfahrungen in gemischtgeschlechtliche Gruppen und eine Unterstützung bei der Umsetzung "ins tägliche Zusammenleben" von Mädchen und Jungen / Frauen und Männern.
Jungenarbeit findet in Jungengruppen beziehungsweise in der Einzelbetreuung von Jungen statt. Hintergrund ist, dass Jungen in geschlechtshomogenen Gruppen sich gegenüber niemandem - hauptsächlich gegenüber Mädchen - verstellen und beweisen sollen. Örtlich kann Jungenarbeit an jedem erdenklichem Ort stattfinden, an dem mit Jungen gearbeitet wird. D.h. in sämtlichen Bereichen der Jugendhilfe, wie offene Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, oder in Beratungsstellen. Jungenarbeit wird aber auch in Schulen oder Kindergärten geleistet. Wichtig ist bei allen örtlichen Gegebenheiten, dass Jungen einen Raum bekommen, in dem sie sich ausprobieren und experimentieren können und dabei von einem Fachmann begleitet werden, der seine eigene Rolle als Mann kritisch reflektiert hat und nicht die klassischen Männlichkeitsbilder in der Jungengruppe reproduziert.
Klassische Rollenzuweisungen an Mädchen und Jungen beginnen schon sehr früh. Im Alter zwischen zwei und drei Jahren entwickeln Mädchen und Jungen eine geschlechtliche Identität. Für Jungen bedeutet dies, unterscheiden zu lernen zwischen der Mutter als Frau (Vertreterin des weiblichen Geschlechts) und sich selbst als Junge (Vertreter des männlichen Geschlechts). Jungenarbeit kann daher bereits im Kindergarten beginnen und den Jungen in seiner Biographie bis zur Berufsfindung oder Familiengründung begleiten. Je nach Alter gibt es unterschiedliche Entwicklungsaufgaben für Jungen. Im Kindesalter können z. B. Themen, wie Selbst- und Fremdwahrnehmung, Grenzwahrnehmung und Konfliktbewältigung in geschlechtshomogenen Gruppen bearbeitet werden, während in der Pubertät die Themen um männliche/ weibliche Rollenbilder und Sexualität in den Vordergrund treten können. Im Jugendalter spielen dann häufig Fragen zum eigenen Werte- und Normensystem oder der Berufs- und Lebensplanung eine wichtige Rolle.
Es gibt eine Bandbreite von Methoden, die in der Jungenarbeit angewendet werden. Diese hängen bspw. von der Altersgruppe oder dem pädagogischen Arbeitsfeld, in dem Jungenarbeit stattfindet. Dies können Gespräche (Einzel- oder Gruppengespräche), Kleingruppenarbeit, Rollenspiele, Körperübungen, Selbsterfahrungsübungen oder kreativ-künstlerische Methoden sein. Auch gibt es Methoden in Form von beraterischen Tätigkeiten. Jedoch sind in der Jungenarbeit nicht die Methoden vorrangig, sondern die eigene Haltung als Jungenarbeiter und der persönliche Zugang zu den vielseitigen Jungenleben inklusive ihrer kulturellen Deutungsmuster.
In der Jungenarbeit sollte das Thema Migration und damit zusammenhängende Aspekte wie Diskriminierung, Rassismus, Stigmatisierung und Ausgrenzung immer relevant sein, weil wir bei den meisten Jungengruppen von multikulturellen Gruppen sprechen. D.h. in jeder Gruppe gibt es Jungen, die Migrationserfahrungen - sei es eine Migration über Ländergrenzen hinweg oder aber auch eine Binnenmigration - mitbringen und von daher als Thema vorprogrammiert sind. Auch vor dem Hintergrund von einseitig Medial verbreiteten Wahrnehmungen (sie sind Machos, in Banden organisiert, Drogendealer etc.) von Migrantenjungen ist es notwendig, die besonderen Ressourcen (interkulturelle Kompetenzen, Bilingualität etc.) von Jungen zu berücksichtigen.
Jungenarbeiter können und sollen Jungen eine Hilfestellung bei der Mannwerdung anbieten. Dabei sollen sie bei der Beziehungsarbeit sowohl Empathie und Unterstützung als auch Regeln und Grenzen aufzeigen. Seine Aufgabe ist es, die Bedürfnisse und Interessen von Jungen aufzugreifen und vor dem Hintergrund von gesellschaftlich tradierten Männlichkeitsbildern Entwicklungs- und Reflektionsprozesse bei Jungen zu unterstützen. Ein Ziel ist es, dass Jungen ihre Männlichkeitsbilder im Sinne der Entwicklung eines Sozialen Geschlechts (Gender) spielerisch erweitern und verändern können.
Er kann Jungen Anregungen geben und ihnen Möglichkeiten eröffnen, die althergebrachten Geschlechtsrollenbilder kritisch zu hinterfragen und die Jungen darin unterstützen, die eigenen Potenziale zu erkennen und ihnen so Hilfe bei der Orientierung zur Mann-Werdung zu geben. Auch kann sich der Jungenarbeiter mit in die Prozesse einbringen, in dem er innerhalb der Beziehung zu Jungen als erwachsener Mann eine Vorbild- oder Modellfunktion einnehmen kann, an der sich Jungen orientieren können.
Bei der Jungenarbeiterin sprechen wir genau genommen (gemäß der Definition von Jungenarbeit) von der Jungenpädagogin. Hier geht es letzten Endes um dieselben Inhalte und Ziele allerdings verbunden mit einigen Unterschieden gegenüber den männlichen Kollegen. Die Jungenpädagogin sollte Grundkenntnisse über die geschlechtsspezifische Sozialisation von Jungen und ihre eigenen Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit mitbringen. Sie hat die Aufgabe, die Bedürfnisse und Interessen der Jungen wahrzunehmen und zum Gegenstand ihrer Arbeit zu machen. Sie kann als Frau allerdings keine authentische Vorbildfunktion im Hinblick auf die männliche Geschlechterrolle einnehmen. Demgegenüber kann sie den Blick aus der Frauenperspektive mit in die Arbeit einbringen.
Jungenarbeiter und Jungenpädagoginnen verfolgen ein gemeinsames übergeordnetes Ziel: die Verwirklichung von Geschlechtergerechtigkeit in unserer Gesellschaft Stück für Stück voranzutreiben.
Wertvolle pädagogische Arbeit wird (sowohl für Mädchen wie für Jungen) von beiden Geschlechtern geleistet. Es gibt allerdings einige Bereiche, in denen Männer aufgrund ihrer geschlechtsspezifischen Sozialisation authentischer mit Jungen bearbeiten können, als Frauen dies tun können. Jungen suchen oft männliche Vorbilder, mit denen sie sich auseinandersetzen können, Probleme besprechen oder auch einfach nur Spaß haben können. In unserer "Kultur der Zweigeschlechtlichkeit" empfinden es manche Jungen nicht nur als Lust, sich zum Mann zu entwickeln, für einige ist es auch eine Last:
Welchen Normen muss ich entsprechen?
Welche Eigenschaften muss ich besonders deutlich herausstellen?
Bei der Suche nach den Antworten auf diese Fragen helfen (Fach-)Männer oft besser weiter, als es (Fach-)Frauen können. Auch wenn sie das gleiche sagen oder tun, es wird vom Jungen anders wahrgenommen, weil er in seiner frühen Kindheit schnell gelernt hat: Junge sein heißt in erster Regel, nicht Mädchen (Frau oder Mutter) zu sein! Diese Erfahrungen sind bei einigen Jungen manchmal so tief verwurzelt, das einige (Fach-)Frauen einfach nicht an sie "herankommen". Anders herum haben manche Jungen so negative (Gewalt)Erfahrungen mit Männern gemacht, dass sie machmal ein großes Unbehagen haben, in eine reine Jungegruppe zu gehen, die von einem Mann geleitet wird.
Einige elektronische Medien wie digitale Video- oder Fotokameras eignen sich erfahrungsgemäß gut, um Reflektionsprozesse bei Jungen zu verschiedenen Themengebieten, wie Gewalt, Hierarchie oder Ausgrenzung anzuregen. Dies liegt u.a. daran, dass viele Jungen an diesen Medien ein besonderes Interesse zeigen und gleichzeitig ihr Wunsch nach Selbstdarstellung mit diesen Medien befriedigt werden kann. Besonders in der Arbeit mit bildungsbenachteiligten Jungen können Methoden benutzt werden, die die Themen und Problemlagen visuell transportieren und verdeutlichen. So kann man z.B. in einem Videoprojekt zum Thema "Ausgrenzung" einerseits die Motive der "Ausgrenzenden" und andererseits die Ohnmachtsgefühle von "Ausgegrenzten" sehr gut darstellen.
Ähnliches gilt für Medien, die aus der Musikszene kommen, seien es computergestützte Musikprogramme oder sogenannte Turntables (spezielle Plattenspieler) aus dem Hip Hop. Sie geben den Jungen die Möglichkeit, ihrem individuell sehr unterschiedlichen Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen. Insbesondere beim Texte schreiben eröffnen sich vielfältige Anknüpfungspunkte, bestimmte Themengebiete wie Partnerschaft und Liebe oder die eigene Lebensplanung zu vertiefen. Ganz nebenbei fördert diese Art des Medieneinsatzes die Lese- und Rechtschreibkompetenzen von Jungen.
Jungenarbeit bietet Jungen einen Experimentier- und Orientierungsraum, in dem sie ihre individuellen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Schwächen herausfinden können. Hier gilt es, die Rolle des angehenden Mannes vor dem Hintergrund rasanter gesellschaftlicher Veränderungen so auszuloten, dass sie nicht in der Vielfalt der Möglichkeiten untergeht. Vor allen Dingen können Jungen alternative Männlichkeitsbilder kennen lernen, die sie in der weiteren Orientierung im Leben (z.B. Lebens- und Berufsplanung) von alterhergebrachten traditionellen Zwängen befreien können. Jungen erhalten Unterstützung, um sich mit der Männerrolle kritisch und zeitgemäß auseinander setzen zu können und so einen ihm angemessenen Platz in der Gesellschaft zu finden.